Fotos lügen nicht

 

Der Spanische Bürgerkrieg wurde von den Massenmedien in alle Welt übertragen. Täglich lieferten "Dokumentaristen" Fotos für Magazine und Filme für die Wochenschau, die auch von Propagandabüros in Auftrag gegeben worden waren.(18) In den zwanziger und dreißiger Jahren war die technologische Entwicklung so weit vorangekommen, daß handliche, leicht zu bedienende Kleinbild-Kameras für jedermann erschwinglich waren. Spontan konnte jederzeit und an jedem Ort das Gesehene aufgenommen werden, denn kurze Belichtungszeiten bei Tageslicht und ein rudimentäres Verständnis der Technik waren nunmehr ausreichend. Diese Voraussetzungen ermöglichten erst die Popularität der Kriegsfotografie und Dokumentation im Film.
Professionelle Fotografen, Amateure und fotografierende Literaten aus allen Ländern produzierten eine Flut von Bildern, die die Jahre 1936-1939 in Spanien dokumentieren: Soldaten, Zivilisten, Flugplätze, zerstörte Städte, Straßenkämpfe, Kriegshandlungen und ihre Opfer. So vielfältig die Motive waren, so unterschiedlich war ihr Zweck. Ein Foto konnte ein militärisches Mittel sein, Illustration eines Zeitungsartikels oder zum Motiv eines Propagandaplakats werden. Es konnte aber auch einfach nur als Souvenir dienen. Besonders ausländische Kriegsteilnehmer führten so ihr persönliches Bildertagebuch.
In jedem Fall wurde das Foto eines der Hauptmedien der Bildproduktion. Zugleich war die Fotografie in den dreißiger Jahren bereits in den Reigen künstlerischer Gattungen aufgenommen, so daß Fotografieren zu den ernstzunehmenden künstlerischen Tätigkeiten zählte, gleichrangig dem Malen oder Radieren. Als Dokumentaristen reihten sich die "Fotojäger" in die ästhetischen Avantgardebewegungen der Ismen ein.(19) Mit Hilfe ihrer Fotos bekundeten sie ihre Weltanschauung. "Sich ein Bild zu machen" bedeutete, Aufklärung für die Weltöffentlichkeit zu betreiben. Zum großen Teil fertigten die unabhängig arbeitenden Fotografen im Spanischen Bürgerkrieg ihre Aufnahmen für Agenturen, Zeitungen oder andere Institutionen an, so daß sie Fotos primär unter propagandistischen Gesichtspunkten je nach politischer oder weltanschaulicher Ausprägung lieferten.(20) Beispielsweise entstand Robert Capas Fotoaufnahme des "fallenden Milizionärs", das durch die Veröffentlichung in dem amerikanischen Magazin "Life" weltberühmt wurde, in den Studios des katalanischen Propagandabüros.(21) Selbst wenn die Aufnahmen dokumentarisch waren, sorgte zumeist eine publizistische Aufbereitung mit Bildunterschriften oder entsprechenden Kommentaren für die propagandistische Ausrichtung.

 

Ebenso wie die militärisch Beteiligten des Spanischen Bürgerkriegs waren auch Beobachter und Leser in zwei Lager gespalten. Zwei Strategien der Propaganda können beobachtet werden: Einerseits galt es, den Krieg als patriotische Pflicht darzustellen. Andererseits sollte gezeigt werden, wie grausam die Bevölkerung von der Gegenseite behandelt wurde. Diese Mittel wandten sowohl die Anhänger der Republik als auch die Franquisten an, und beide Seiten erkannten gleichermaßen in der Propaganda ein Instrument der ästhetischen und politischen Erziehung des Menschen. Mit der Kamera in der Hand wurde je nach Weltanschauung für die eine oder andere Seite Aufklärung betrieben.(22) Beide Seiten lenkten die Aufmerksamkeit auf die Unterstützung aus dem Ausland, die der jeweilige Gegner erfuhr, und gaben unermüdlich vor, die spanische Nation gegen die ausländische Aggression zu verteidigen.

 

Die Kriegsparteien sahen in gezielten Propaganda-Aktionen auch ein Mittel der psychologischen Kriegführung. So schickte das katalanische Propagandakommissariat im Mai 1937 täglich bis zu 10 Tonnen Propagandamaterial an die Front.(23) Mit einer Mischung aus Aufklärung und Einschücherung ging man die Gegenseite direkt an. Es gab sogenannte Propaganda-"Dinamiteros", die mit Flugblättern gefüllte Konservendosen in feindliche Stellungen warfen. Für die Durchführung dieser Propaganda-Aktionen wurde eigens von der Regierung die Organisation Cultura Popular gebildet.(24) Das Material des Propaganda-"Dinamitero" bestand aus Flugblättern, die sich an die maurischen Söldner, an spanische und italienische Franco-Soldaten sowie an die kommandierenden Offiziere wandten.

Die Bildpublizistik des rechten Lagers verfolgte in erster Linie die Ästhetisierung des Krieges und der Gewalt. So wurde jeder militärische Sieg als Heldentat gefeiert, der republikanische Feind dagegen als willenloses Werkzeug russischer Kommunisten in Propagandaschriften diffamiert. Besonders augenfällig werden die Methoden, mit denen sich die Propaganda eines Fotos bemächtigt:
Dieses zeigt die Opfer einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Franco-Soldaten und Republikanern in Madrid. Nachdem sich aufständisches Militär am 20. Juli 1936 in einer Kaserne verschanzt hatte, wurde es von Arbeitern und Volksmiliz belagert. Zweimal täuschten die Franquisten die Republikaner durch Hissen der weißen Flagge. Anstatt sich zu ergeben, richteten die Eingeschlossenen ihre Maschinengewehre in die Menge und töteten fast alle Kämpfer der Gegenseite. Nach dem erfolgreichen Sturm rächten sich die Angreifer blutig. Typisch für die Grausamkeit des Spanischen Bürgerkriegs ist diese Episode, da sie zeigt, daß selbst die elementarsten Kriegskonventionen mit Füßen getreten wurden.

 

Die Verbissenheit, mit der die verfeindeten Seiten kämpften, ließ sie beim Ersinnen von Hinterlisten immer phantasievoller werden. In der Presse schien ebenso jedes Mittel recht, um den Gegner als Schuldigen zu denunzieren. Die französische Zeitung "L’Illustration", die mit der Spanischen Republik sympathisierte, publizierte dieses Foto am 8. August 1936, um die Opfer der Regierungstruppen zu beklagen. Wenig später druckte die nationalsozialistische Propagandaschrift "Moskau - der Henker Spaniens" dasselbe Foto und verbreitete die Nachricht, die dargestellten Kriegsopfer wären durch die Hand der Republikaner getötet worden. Die Aussagekraft des Fotomaterials wurde jedoch von diesen Propagandisten unterschätzt, denn es ist offensichtlich, daß diese Opfer der republikanischen Seite angehörten. Es waren Frauen darunter, und die Getöteten trugen weitgehend zivile Kleidung. Es kann als unwahrscheinlich angesehen werden, daß die Republikaner sich in diesem Massaker gegenseitig hingerichtet haben sollen. Dieses Beispiel zeigt, wie Untertitel oder kommentierende Beischriften über die Wahrnehmung der Bilder entscheiden. Untertitel waren das am häufigsten angewandte Propagandainstrument, das die Interpretation der Bilder in die gewünschte Richtung lenkte: Republikaner wurden entweder als "kommunistische Banden" oder als "Mordbrenner" bezeichnet. Sie bedrohten angeblich die öffentliche Ordnung in Spanien und stürzten die Bevölkerung in Hunger und Elend. Dagegen wurde der Putsch Francos als Rettung vor dem Chaos dargestellt.

 

Die Geschichte der Fotografie blickte zur Zeit des Bürgerkriegs schon auf die Blüte der neusachlichen Fotografie zurück, die den objektiven, dokumentarischen Charakter dieses Bildmediums herausgestellt hatte. Mit unbestechlichem Blick waren Fotografen wie Hugo Erfurth (1874-1948) oder August Sander (1876-1964) den Menschentypen ihrer Zeit buchstäblich zu Leibe gerückt. Überdeutlich hervortretende Details charakterisierten das abgebildetete Objekt bis zur Karikatur.

 

Selbst Häßlichkeit nahm man in Kauf, sofern es der Wahrheitsfindung diente. In diesem Zusammenhang ist auch zu verstehen, daß Propaganda in den dreißiger Jahren nicht ausschließlich als etwas Negatives empfunden wurde. Es war vielmehr ein Verfahren des Überzeichnens, das Wirklichkeit weltanschaulich aufbereitete, um sie einem Massenpublikum verständlich zu machen. Auch die modernen Techniken der Collage und Montage arbeiteten mit Fotografien, da diese ein Medium mit außerordentlichem Realitätsbezug darstellten. Jedoch wußte man um die begrenzten Möglichkeiten der Fotografie, die komplexe Wirklichkeit angemessen wiederzugeben.

Als künstlerische Disziplin geeigneter als die "reine" Fotografie erschien daher seit den 1920er Jahren die Fotomontage: "Die vielfältigen Konstellationen der aktuellen Wirklichkeitserfahrungen, das Konfliktträchtige und Widersprüchliche der modernen industriellen Zivilisation, die jähen Stürze der sozialen Gefühlslagen (...) und das mehr oder minder deutliche Empfinden, daß die Welt sich unüberschaubar und schwer begreiflich darbiete sowie voller unauflösbarer Gegensätze stecke, ließ die Montage allmählich zum anschaulichen Synomym des Zeitgeists werden."(25) Mit Fotomontagen waren darum zum Beispiel auch die Innenräume des Spanischen Pavillons, dieses Meisterwerks zeitgenössischer Propaganda, ausgestattet (Abb. oben rechts). Denn wie kaum ein anderes Medium eignen sich Fotomontagen zur Visualisierung von Emotionen, die einen Krieg beschreiben. Die Fotomontage simuliert dabei die chaotische Wahrnehmung von Eindrücken eines psychologisch erschütternden Ereignisses, das im wilden Durcheinander und in den krassen Schnitten der Montagetechnik eine bildnerische Umsetzung findet. In diesem Kontext arrangierter Wirklichkeitsbilder präsentierten sich die Gemälde spanischer Künstler, die sich ebenfalls mit dem Krieg auseinandersetzten und auf einer stärker reflektiven Ebene zu eher statischen Lösungen gelangten.

 


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